Legitimation

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde bei personenbezogenen Ausdrücken auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Wir weisen daher an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass die Verwendung der männlichen Form als geschlechtsneutral zu verstehen ist und somit Frauen und Männer gleichermaßen umfasst.

Allgemeines

Unter Legitimation versteht man ganz allgemein die Berechtigung zur Durchführung einer bestimmten Handlung. Hier interessiert uns im Speziellen die Berechtigung zur Vornahme von Vertretungshandlungen vor Gerichten und Behörden.

Für den Rechtsanwaltsanwärter stellt sich gerade zu Beginn seiner Ausbildung öfters die Frage, „was er darf und was er nicht darf“. Erfahrungsgemäß wird seitens des Ausbildungsanwaltes nicht immer bedacht, dass der Rechtsanwaltsanwärter zunächst nur über eine eingeschränkte Vertretungsbefugnis verfügt. Daher sollte man jedenfalls auch selbst über die Reichweite seiner Berechtigung zur Vornahme von Vertretungshandlungen vor Gerichten und Behörden Bescheid wissen. Dies umso mehr, als die Entsendung eines Rechtsanwaltsanwärters zu einer Verhandlung, die dieser nicht verrichten darf, nicht nur verfahrensrechtliche Folgen nach sich ziehen kann, sondern auch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtverletzung (durch Verstoß gegen § 9 Abs 1 RAO sowie [ehemals] § 42 RL-BA 1977) und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begründet (vgl OGH 18.02.1985, Bkd 106/84, AnwBl 1986, 84; OGH 25.01.1993, Bkd 43/90 [Bkd 88/90, 10 Bkd 4/92]).

Im Hinblick auf den Umfang der Legitimation eines Rechtsanwaltanwärters unterscheidet das Gesetz zwischen der (uneingeschränkten) Substitutionsberechtigung und der (beschränkten) Vertretungsbefugnis (vgl § 15 Abs 4 RAO).

Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden durch einen bei ihm in Verwendung stehenden, substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen (§ 15 Abs 1 RAO). Substitutionsberechtigt ist ein Rechtsanwaltsanwärter, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat. Das Erfordernis der Rechtsanwaltsprüfung kann jedoch auf Ansuchen eines Rechtsanwalts vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer aus rücksichtswürdigen Gründen denjenigen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern erlassen werden, die ein Studium des österreichischen Rechts abgeschlossen haben und mindestens eine siebenmonatige Praxis bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft sowie eine achtzehnmonatige praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt oder bei der Finanzprokuratur nachzuweisen vermögen (§ 15 Abs 2 RAO). Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts hingegen gesetzlich nicht vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen anderen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen (§ 15 Abs 3 RAO). Die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch jedenfalls unzulässig (§ 15 Abs 1 und 3 RAO).

Zum Nachweis der Legitimation hat der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer den bei einem Rechtsanwalt in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern Legitimationsurkunden auszustellen, aus denen die Substitutionsberechtigung nach § 15 Abs. 2 RAO (große Legitimationsurkunde) oder die Vertretungsbefugnis nach § 15 Abs. 3 RAO (kleine Legitimationsurkunde) ersichtlich ist (§ 15 Abs 4 RAO). Sobald die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt wieder aufhört, verliert Legitimationsurkunde automatisch ihre Geltung (§ 31 RAO).

Die Legitimationsurkunde (kurz: „LU“) ist das Ausweisdokument, mit dem man vor Gerichten und Behörden das von seinem Ausbildungsanwalt abgeleitete Vertretungsrecht bescheinigt. Die Legitimationsurkunde ist daher zu Verhandlungen und zu sonstigen Gerichts- und Behördenterminen mitzunehmen und auf Verlangen vorzuweisen. Zudem lassen sich auch die Sicherheitskontrollen an den Gerichten durch das Vorzeigen der Legitimationsurkunde schneller passieren. Zu Beginn einer Verhandlung kann es sein, dass man um das Ausstellungsdatum der Legitimationsurkunde gefragt wird und sollte dieses daher auswendig gekonnt werden. Zu finden ist es auf der Rückseite der Legitimationsurkunde.

Der Rechtsanwaltsanwärter ist Stellvertreter seines Ausbildungsanwaltes und nicht dessen Substitut (vgl § 14 RAO). Schreitet man daher für seinen Ausbildungsanwalt ein, so lautet die richtige Formulierung: „Herr/Frau (Name des Klägers/Beklagten/Angeklagten/etc.) persönlich mit (Name des Rechtsanwaltsanwärters), LU vom (Ausstellungsdatum), Anwärter bei (Name des Ausbildungsanwaltes)“. Bei Einschreiten für einen anderen Anwalt lautet die richtige Formulierung: „Herr/Frau (Name des Klägers/Beklagten/Angeklagten/etc.) persönlich mit (Name des Rechtsanwaltsanwärters), LU vom (Ausstellungsdatum), Anwärter bei (Name des Ausbildungsanwaltes), dieser Substitut für (Name des substituierenden Rechtsanwaltes), Substitutionsvollmacht vom (Datum).“

Aus den obigen Ausführungen lässt sich der Grundsatz ableiten, dass ein Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde dann nicht vor Gerichten und Behörden vertreten darf, wenn die Beiziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist. Dies ist in folgenden Fällen der Fall:

1. Zivilverfahren

Ist die Beiziehung eines Rechtsanwaltes im Zivilverfahren gesetzlich zwingend vorgeschrieben, so spricht man von absoluter Anwaltspflicht. Davon zu unterscheiden ist die relative Anwaltspflicht. Bei relativer Anwaltspflicht müssen sich die Parteien zwar nicht vertreten lassen, wenn sich aber eine Partei vertreten lässt, muss es durch einen Rechtsanwalt sein.

a) Zivilprozess:

Absolute Anwaltspflicht besteht vor den Bezirksgerichten in Rechtssachen mit einem EUR 5.000 übersteigenden Streitwert iSd §§ 54 f JN, bei Verbandsklagen sowie vor den Gerichtshöfen erster Instanz, den Oberlandesgerichten und dem Obersten Gerichtshof in allen Rechtssachen (vgl § 27 Abs 1 ZPO).

Sachliche Ausnahmen von der absoluten Anwaltspflicht bestehen in bestimmten Rechtssachen, nämlich gemäß § 27 Abs 2 ZPO in Verfahren mit Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichtes iSd § 49 Abs 2 JN (vor allem Unterhalts-, Ehelichkeitsbestreitungs-, Ehe-, Besitzstörungs- und Bestandsachen), in Verfahren, die gemäß § 79 JN (Klagen von und gegen Richter) oder § 94 Abs 2 JN (Honorarklagen der Prozess- und Zustellbevollmächtigten) vor einem Gerichtshof erster Instanz angebracht werden (Art XIV EGJN) sowie in Arbeits- und Sozialrechtssachen in erster und zweiter Instanz (§ 40 ASGG).

Weiters sind einzelne Prozesshandlungen von der absoluten Anwaltspflicht ausgenommen und zwar Prozesshandlungen, welche vor einem ersuchten oder beauftragten Richter oder vor dem Gerichtsvorsteher oder Vorsitzenden eines Senates vorgenommen werden sowie Protokollaranträge vor der Gerichtskanzlei (§ 27 Abs 2 JN), Anträge nach § 72 Abs 3 ZPO (Verfahrenshilfe), § 324 Abs 2 ZPO (Zeugnisverweigerung), § 367 ZPO (Verweigerung von Befund bzw Gutachten), § 38 Abs 1 GebAG (Gebührenbestimmunganträge) und § 41 Abs 3 GebAG (Gebührenrekurse). Gleiches gilt für selbstständige Befundaufnahmen außerhalb der mündlichen Streitverhandlung (vgl LG Feldkirch 4 R 1/99y).

Ferner unterliegen auch jene Tagsatzungen, in (oder mittels Schriftsatzes vor [vgl LG Feldkirch 4 R 182/08g]) denen Klagebegehren von einem Streitwert bis EUR 5.000 auf einen solchen darüber ausgedehnt werden und vor den Bezirksgerichten geschlossene Vergleiche über einen den Betrag von EUR 5.000 übersteigenden Geldwert nicht der absoluten Anwaltspflicht (§ 27 Abs 3 ZPO).

Bei nur relativer Anwaltspflicht (§ 29 Abs 1 JN) kann sich der Rechtsanwalt jedenfalls durch einen bei ihm beschäftigten Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde vertreten lassen (vgl OGH 3 Ob 142/99z mwN).

b) Außerstreitverfahren:

Im Außerstreitverfahren herrscht in erster Instanz grundsätzlich Vertretungsfreiheit, in zweiter Instanz relative und in dritter Instanz absolute Anwaltspflicht (vgl § 4 Abs 1 AußStrG). Für den Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde bedeutet dies, dass er im Allgemeinen in erster und zweiter Instanz vertretungsbefugt ist. Von dieser Grundregel besteht jedoch auch eine wesentliche Ausnahme: Gemäß § 162 AußStrG muss sich eine Partei in Verfahren zur Feststellung des Erbrechts durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, sofern die Nachlassaktiven voraussichtlich EUR 5.000 übersteigen (absolute Anwaltspflicht).

c) Exekutionsverfahren:

Im Exekutionsverfahren gilt der Grundsatz der Vertretungsfreiheit (§ 52 EO). Nach einhelliger Meinung gilt dies aber nur für das Exekutionsverfahren erster Instanz, nicht aber für das Rekursverfahren (Fucik in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO I [17. Lfg 2013] § 52 Rz 3). Da das Rekursverfahren grundsätzlich schriftlich geführt wird und die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter gemäß § 15 Abs 1 und 3 RAO jedenfalls unzulässig ist, beschränkt sich die Berechtigung des Rechtsanwaltsanwärters zur Vornahme von Vertretungshandlungen im Exekutionsverfahren somit auf die erste Instanz.

Gesondert zu beurteilen sind Rechtsstreitigkeiten aus Exekutionsklagen, insbesondere Oppositions- (§ 35 IO), Impugnations- (§ 36 IO) und Exszindierungsklage (§ 37 IO). Hiefür besteht aufgrund der individuellen Zuständigkeit keine Anwaltspflicht, sofern sie nicht bei einem Gerichtshof erster Instanz als Titelgericht eingebracht werden (vgl § 38 Abs 1 EO).

d) Insolvenzverfahren:

Im Insolvenzverfahren besteht aufgrund der Bestimmung des § 254 Abs 1 Z 6 IO generell keine Anwaltspflicht und ist daher selbst der Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde grundsätzlich uneingeschränkt vertretungsbefugt. Bei den anlässlich eines Insolvenzverfahrens entstehenden Rechtsstreitigkeiten mit Eigenzuständigkeit des Insolvenzgerichtes – insbesondere Anfechtungsklagen (§ 43 Abs 5 IO) und Prüfungsklagen (§ 110 IO) – gelten jedoch auch vor diesem Gericht die allgemeinen Vorschriften über die Vertretungspflicht (§ 263 Z 3 IO). Ist demnach gemäß § 182 IO das Bezirksgericht Insolvenzgericht, so besteht bei einem Streitwert bis EUR 5.000 keine und bei einem Streitwert über EUR 5.000 wegen Eigenzuständigkeit nur relative Anwaltspflicht und ist daher bereits ein Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde vertretungsbefugt. Nach § 263 Z 2 IO sind jedoch die Vorschriften des Gerichtshofverfahrens anzuwenden, wenn die Klage ansonsten in die sachliche Zuständigkeit eines Gerichthofs fiele und besteht daher bei Streitwerten über EUR 15.000 absolute Anwaltspflicht. Ist gemäß § 63 Abs 1 IO der Gerichtshof Insolvenzgericht, so besteht im Hinblick auf die Bestimmung des § 263 Z 2 IO erst ab einem Streitwert von über EUR 5.000 absolute Anwaltspflicht.

2. Strafverfahren 

Dem Begriff der absoluten Anwaltspflicht im Zivilverfahren entspricht im Strafverfahren der Begriff der notwendigen Verteidigung. Gemäß § 61 Abs 1 StPO besteht notwendige Verteidigung und muss der Beschuldigte daher durch einen Verteidiger vertreten sein

  • im gesamten Verfahren, wenn und solange er in Untersuchungshaft oder gemäß § 173 Abs. 4 StPO in Strafhaft angehalten wird (die Untersuchungshaft beginnt erst mit Verkünden des gerichtlichen Beschlusses (§ 174 Abs. 2 und § 173 Abs. 4 StPO); bei der ersten richterlichen Vernehmung des Beschuldigten nach Einlieferung in die Justizanstalt (§ 174 Abs. 1 erster Satz StPO) besteht daher noch keine notwendige Verteidigung),
  • im gesamten Verfahren zur Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 StGB (§§ 430 Abs. 1, 434d Abs. 1 StPO),
  • in der Hauptverhandlung zur Unterbringung in einer der in den §§ 22 und 23 StGB genannten Anstalten (§ 439 Abs. 1 StPO),
  • in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht

Beachte: Da die Hauptverhandlung und Urteilsfällung wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen gemäß § 196a FinStrG dem Landesgericht als Schöffengericht obliegt, besteht auch im gerichtlichen Finanzstrafverfahren Verteidigerzwang (§ 195 Abs 1 FinStrG).

  • in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter, wenn für die Straftat, außer in den Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs. 4 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist,

Beachte: Ob für die Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter Verteidigerzwang besteht, bestimmt sich allein nach der Strafdrohung des angeklagten Delikts (RIS-Justiz RS0098131). Doch auch wenn zunächst kein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, kann sich ein Verteidigerzwang aus einer (späteren) Modifikation oder Ausdehnung des Strafantrages auf ein Delikt mit mehr als einer dreijährigen Strafdrohung ergeben (vgl OGH 13 Os 71/14m). Diesfalls wäre die Hauptverhandlung zu vertagen und unter Beiziehung eines (zumindest substitutionsberechtigten) Verteidigers zu wiederholen (vgl OGH 14 Os 173/10p).

  • im Rechtsmittelverfahren auf Grund einer Anmeldung einer Nichtigkeitsbeschwerde oder einer Berufung gegen ein Urteil des Schöffen- oder des Geschworenengerichts sowie
  • bei der Ausführung eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens und beim Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über einen solchen (§§ 363a Abs. 2 und 363c StPO).

Bei Jugendstrafsachen besteht notwendige Verteidigung gemäß § 39 JGG

  • im Verfahren vor den Landesgerichten für das gesamte Verfahren sowie
  • im bezirksgerichtlichen Verfahren, wenn dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem zur Wahrung der Rechte des Jugendlichen, notwendig oder zweckmäßig ist, jedenfalls aber dann, wenn kein gesetzlicher Vertreter dem Jugendlichen im Strafverfahren beistehen kann oder trotz ordnungsgemäßer Ladung kein gesetzlicher Vertreter zu den in § 49 Z 10 StPO genannten Beweisaufnahmen und Verhandlungen erschienen ist.

Weiters muss der Beschuldigte in den Fällen des § 29 Abs 4 ARHG (ab Verhängung der Auslieferungshaft) und § 31 Abs 3 ARHG (Verhandlung über die Zulässigkeit der Auslieferung) durch einen Verteidiger vertreten sein.

Für die Vertretung von Privatbeteiligten besteht gemäß § 73 StPO weder absolute noch relative Anwaltspflicht, weshalb auch ein Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde unabhängig von der Höhe der privatrechtlichen Ansprüche vertretungsbefugt ist.

3. Verwaltungs(straf)verfahren

Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Verwaltungsstrafverfahren gilt der Grundsatz der Vertretungsfreiheit und ist daher auch der Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde vollumfänglich vertretungsbefugt (vgl § 10 AVG iVm § 24 VStG iVm § 17 VwGVG).

4. Verfahren vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts 

Gemäß § 23 VwGG können die Parteien ihre Rechtssache vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst führen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof herrscht somit grundsätzlich nur relative Anwaltspflicht und ist daher auch der Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde vollumfänglich vertretungsbefugt. Gleiches gilt gemäß § 24 Abs 1 VfGG auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof.

Absoluter Anwaltszwang besteht nur für gewisse Schriftsätze (vgl § 24 Abs 2 VwGG und § 17 Abs 2 VfGG). Die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch ohnedies nicht zulässig (§ 15 Abs 1 RAO).

Folgen der Verletzung der Anwaltspflicht oder des Verteidigerzwangs

Neben den disziplinarrechtlichen Konsequenzen kann eine Verletzung der Anwaltspflicht oder des Verteidigerzwangs nicht unerhebliche verfahrensrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Wenn im Zivilverfahren absolute Anwaltspflicht herrscht und die Partei ohne Anwalt (bzw. substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter) zur Verhandlung erscheint, so wird ihr die Fähigkeit abgesprochen, wirksame Prozesshandlungen vornehmen zu können (sog. „Postulationsunfähigkeit“), was gemäß § 133 Abs 3 ZPO zur Folge hat, dass die betreffende Tagsatzung als versäumt gilt. Als besondere Säumnisfolge sehen die §§ 396 Abs 2 und 442 ZPO vor, dass über Antrag der (anwaltlich vertretenen) Gegenpartei ein Versäumungsurteil gefällt werden kann. So etwa auch geschehen in der Entscheidung des OGH 5 Ob 169/13h, in der ein Versäumungsurteil ergangen ist, weil die für die Klägerin einschreitende Rechtsanwaltsanwärterin trotz absoluter Anwaltspflicht nur über die kleine Legitimationsurkunde verfügte.

Im Strafverfahren begründet die Verletzung der Bestimmungen über die notwendige Verteidigung in der Hauptverhandlung Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1a bzw § 345 Abs 1 Z 2 StPO und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Verletzung überhaupt einen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte, der Angeklagte seiner „Nichtverteidigung“ zugestimmt hat oder der Schuldspruch wegen eines mit geringerer Strafe bedrohten Delikts erfolgt ist. Das Einschreiten eines Rechtsanwaltanwärters mit kleiner Legitimationsurkunde im Rahmen einer Haftverhandlung bewirkt die Gesetzwidrigkeit des Haftverlängerungsbeschlusses, die mittels Beschwerde nach § 87 StPO oder Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach § 23 StPO aufgegriffen werden kann.